Über andere

in alphabetischer Ordnung z. Z. über Alexander Gottlieb Baumgarten, Johann (III) Bernoulli, Niels W. Bokhove, Martin Brecher, Volker Dieringer, Johann Heinrich Lambert, Helge Rückert, Axel Spree und Werner Strube

Alexander Gottlieb Baumgarten (1714-1762)

… war ein wahrscheinlich ziemlich typi­scher deutscher Philosoph des 18. Jahr­hunderts: Ein pro­tes­tan­tischer Preuße pie­tistischer Prä­gung, der im Dreieck Berlin, Halle a. d. Saale, Frankfurt an der Oder gelebt und gewirkt hat. Ob­wohl Wolff aus Halle ver­trie­ben war, als Baumgarten (seinem äl­tes­ten Bruder folgend) an der da­ma­­li­gen preu­ßi­schen Vorzeige-Uni­ver­sität studierte, konnte er sich dem Einfluss der modernen, me­tho­disch und praktisch orien­tier­ten Wolffschen Philosophie nicht entziehen. Erstaunlicherweise bot sich ihm in der Metaphysik dieser von Leibniz inspirierten Schule (zu der er ein spätes, aber ein­fluss­rei­ches Lehr­buch geschrie­ben hat) die Basis, seinen Neigungen in ‚wis­sen­schaft­licher‘ Form nach­zugehen: Er, der selbst la­tei­ni­sche Gedichte ver­fass­te, hat eine in Deutschland bahn­brechende allgemeine Ästhe­tik ge­schrie­ben (natürlich auch auf Latein), war aber auch auf dem Gebiet der praktischen Phi­lo­sophie en­ga­giert (und per­sön­lich unzweifelhaft ein frommer Christ, der in seinen letzten Ta­gen, als ihm die Tuber­kulose lang­sam den Atem nahm, nichts mehr von der Philosophie, sondern nur noch von seinem Heiland wissen wollte).

Es ist für die Zeit ebenso cha­rak­te­ristisch wie für die Weite von Baum­gartens Geist und den Um­fang seiner Talente, dass er dar­über die mathematischen Natur­wis­senschaften keineswegs ver­schmähte, sondern in Frankfurt beispielsweise Phy­sik nach aktu­ellen, mathematisch an­spruchs­vollen Lehrbüchern gelesen hat. Es gibt kein Porträt von ihm und über sein Privatleben wissen wir nicht viel, mangels erhaltener Briefe ist die nicht allzu um­fang­reiche Lebensbeschreibung durch seinen Schüler Georg Friedrich Meier bei­nahe die einzige Quelle – denn das Ver­steck­spiel, dass er in seiner mäßig erfolg­reichen moralischen Wochen­schrift Philo­sophische Brieffe von Aletheo­philus mit seiner Person treibt, ist schwer zu ent­schlüsseln. So ist er, der (vermeintlich?) trockene Stu­ben­gelehrte, immer noch ein fas­zinierender Unbekannter … und es ist vielleicht gar nicht ver­wun­der­lich, dass Voltaire ihn in der Gestalt des Doktor Ralph im Can­dide zum Muster des deutschen Hoch­schul­lehrers genommen ha­ben soll.

Johann (III) Bernoulli (1744-1807)

… war ein Astronom und Publizist avant la lettre aus der großen Baseler Mathema­tiker-Familie der Bernoulli (deshalb muss man die »III« in seinem Namen mitfüh­ren); Fritz Nagel nennt ihn in seiner Kurz­biografie im Historischen Lexikon der Schweiz zu Recht einen ›Pionier des wis­sen­schaftlichen Fach­jour­na­lis­mus‹. Als Mitglied der Berliner Aka­demie der Wis­sen­­schaften (es gab eine Art swiss con­nection: L. Euler, J.G. Sulzer, Ber­­noulli, Lambert, Joh. Bernhard Merian, Jakob Wegelin …) und Lei­ter der Sternwarte war Ber­noulli viele Jahre ein enger Mit­ar­bei­ter Lamberts und Freund – falls Lam­bert in Berlin dauerhaft Freunde hatte. Neben den von Nagel er­wähn­ten wissen­schafts­jour­nalis­tischen Publi­kationen hat Ber­noul­li auch eine Sammlung kurzer Rei­se­be­schrei­bungen (von der auch Kant ein paar Bände besaß) und manches andere ver­öffent­licht. Lambert hat ihn gelegentlich ziemlich harsch kritisiert (z.B. in seinem Brief vom 12.3.1773), und trotzdem hat Bernoulli Lam­berts Manuskript­nachlass treulich ver­wal­tet und vieles Wichtige dar­aus ver­öf­fent­licht (man muss sich klar machen, dass Hans Werner Arndt zu Leb­zeiten über Ber­noullis Edi­tions­tätig­keit eigentlich nicht hin­aus­ge­kom­men ist und sich sogar damit begnügt hat, von den fünf Bänden der deutschen wis­sen­­schaft­l­ichen Kor­­res­pon­­denz Lam­berts nur den ersten nach­zu­drucken).

Dass er sich öffentlich nur etwas rätsel­haft über die Bibliotheken geäußert hat, an die er den rie­si­gen Kor­res­pon­­denz­nach­lass sei­ner Familie und auch die Manu­skripte Lam­berts schließlich ver­kau­fen musste, hat aller­dings dazu ge­führt, dass sie etliche Jahr­zehnte lang verschollen waren. Dennoch ist es keine späte Rache der Fa­mi­lie an dem viel­­sei­ti­gen, hilfs­­be­rei­ten und kom­mu­ni­ka­ti­ven Mann, wenn nun der Brief­wechsel von Johann (III) selbst nicht von der Bernoulli-Edition auf­bereitet und ver­öf­fent­licht wird (er war einfach kein be­deu­tender Mathe­ma­tiker mehr, von denen die Familie aber ge­nug zu bieten hat). Über die Be­zie­hun­gen vieler Wis­sen­schaft­ler und Ge­lehr­ter und den all­täg­lichen (Ber­li­ner) Wis­sen­schafts­betrieb würde man daraus einiges lernen – harren wir der Digi­ta­li­sie­rung der reichen Be­stände der Hand­schrif­ten­ab­tei­lung der UB Basel.

Niels W. Bokhove

… könnte man auf recht ver­schie­dene Wei­sen charakterisieren: als nieder­län­di­schen Kafka-Experten zum Beispiel oder als Fach­mann für die Geschichte der Phä­no­me­no­lo­gie und besonders ihres Be­griffs (denn dar­über hat er 1991 bei Karl Schuh­mann in Utrecht pro­moviert) oder als Li­te­ra­tur­lo­kal­his­to­ri­ker wegen seiner Ar­bei­ten zu Marti­nus Nijhoff, dem Kin­der­buch­autor W. G. van de Hulst, ›Utrecht Da­da‹ und einer ganzen Reihe weiterer Pu­bli­ka­tionen mit Ortsbezug (wussten Sie, dass Thomas Bernhard die ersten Lebens­monate in den Nieder­lan­den ver­bracht hat? Niels ist den Spuren nach­ge­gangen). Er be­rei­tet eine Biographie des nie­der­­län­­di­schen Dichters Halbo C. Kool (1907-1968) vor, arbeitet über Kafkas Be­zie­hung zur Philo­sophie und findet immer noch Zeit, Ent­deckungen für unseren Lam­bert-Supplementband zu machen

(er hatte schon unglaublich viel Material für den Kom­­men­tar zum Monats­buch zu­sam­men­ge­tragen, als er 2009 bis 2011 an der Ar­beits­stel­le Lambert-Edi­tion an­gestellt war). Schade, dass seine Home­page nicht mehr aktuell ist; Niels' Vielseitigkeit ist anders als mit dyna­mischen Mitteln eigent­lich kaum darstellbar. Und seine Energie und Hilfs­bereitschaft (heim­lich arbeitet er in Den Haag noch an der Er­schlie­ßung eines Archivs …) ist gar nicht zu be­schrei­ben.

Martin Brecher

… ist ein Spezialist für Kants prak­tische Phi­lo­­sophie, vor allem für dessen merk­wür­diges Ehe­recht, worüber er bei Chris­toph Horn in Bonn promoviert hat (das Pro­jekt hieß »Würde der Mensch­heit und Zweck der Natur: Eine Re­kon­struk­­tion von Kants Ehe­recht und Sexual­ethik«). Ange­stellt ist er al­lerdings seit April 2014 an der Uni Mann­heim, wo er also auch lehrt. Er hat unter anderem einen schmucken Ab­schluss der Uni­ver­sity of St Andrews (M.Litt.), auch sonst schon allerhand Aus­zeich­nendes und bemüht sich mit viel Scharf­sinn und For­scher­fleiß, Kants Auf­fas­sung, zwei Men­schen (unter­schied­lichen Ge­schlechts) würden sich beim ganz ge­wöhn­lichen Ge­schlechts­ver­kehr gegen­seitig zur Sache machen, dadurch, dass sie sich vom an­de­ren zur Sache machen ließen, das Recht der Mensch­heit in ihrer Person ver­letzen und dieser schwere De­fekt jener beliebten, ver­meint­lich meist harm­losen Hand­lung wür­de durch die Schließung einer mono­gamen und auf Dauer angelegten Ehe (und nur da­durch) geheilt – diese Vor­stel­lung des be­rühmten Königsbergers also bemüht sich Martin plau­sibel, verständlich und ar­gu­mentativ so stark wie mög­lich zu machen, ohne dabei Kant alles aufs Wort zu glauben.

Das ist nicht einfach. Wenn es jemandem gelingt, dann Martin, denn er hat nicht nur alle ein­schlä­gigen Texte Kants gelesen und verstanden (wenigstens eben­so gut wie die Mit­bewerber), sondern er geht auch in zweck­mäßiger Weise auf die mo­ral­philo­­so­phischen und natur­recht­lichen Quel­len (Baum­garten, Meier, Achen­wall, …) zurück, auch die lateinischen, ohne die schon die Termi­no­logie des Alles­zer­mal­mers (wenn man bei seinem schwa­nken­den Wort­ge­brauch von einer solchen spre­chen kann) den Heutigen kaum be­greif­lich ist. Alle war­te­ten gespannt auf den Ab­schluss der Dis­sertation, der lange unmit­tel­bar be­vor­zu­ste­hen schien … am letzten Tag des zehnten Monats AD 2019 war es endlich so weit. Spä­tes­tens jetzt werden sich die Mit­glieder der Kant-Gemeinde den Spitz­namen „Ehe-Brecher“ merken müssen (glück­licher­weise steigt er nicht zum »Diplom-Ehe-Brecher« auf, sondern zum Dr. phil.)!

Volker Dieringer

… war (zu) viele Jahre wissen­schaft­licher Mitarbeiter und rech­te Hand des Inhabers des Mann­heimer Lehrstuhls Philosophie I. Volker hat nicht nur den reibungs­losen Be­trieb auch unter widrigs­ten Um­ständen sichergestellt und die Beziehungen zu allen Uni­ver­si­täts­stellen so gepflegt, dass man für die An­liegen des Lehr­stuhls im­mer ein offenes Ohr hatte, sondern jedem, der den Weg in seine Sprech­stunde ge­fun­den hat (und das waren nicht wenige) mit gutem Rat in allen Phasen und bei allen Pro­ble­men des Philo­sophie­stu­diums bei­ge­stan­den. (Dass seine Studenten sein Enga­gement zu schät­zen wussten, hat sich nicht zuletzt in der mitt­­ler­weile le­gen­dä­ren Ab­schieds­party ge­zeigt, die sie für ihn ge­schmis­sen haben.) Weil er un­ab­läs­sig daran gearbeitet hat, seine Lehre (zu Klas­si­kern der christ­lichen Phi­lo­so­phie, zu Locke und anderen Großen der frühen Neu­zeit und natür­lich zu Kant) zu ver­bessern, hat er sich syste­ma­tisch in Hoch­schul­di­dak­tik weiter­gebildet. Nach sei­nem (wie sich ge­zeigt hat: vor­läu­fi­gen) Aus­scheiden aus dem Uni­betrieb im Sommer 2014 hat er damit die Brücke ge­schla­­gen zu einem Zweit­studium „Su­per­vi­sion und Be­ra­tung“.

Eine Zeit lang war er in Münster (Westf.) in der Übergangsphase zur selb­stän­digen Be­ratungs­tätigkeit. Gerade im Hochschul­be­reich gäbe es viele, die von Volkers Be­ra­tung in kritischen Berufs­phasen (und mög­lichst bevor sich un­ge­sunde Struk­tu­ren ver­fes­ti­gen) sehr profitieren könnten. Aber schließ­lich hat man an der Uni­ver­si­tät Bielefeld er­kannt, welche Quali­täten Volker in For­schung und Lehre hat – seine Freunde waren davon nicht wirk­lich über­rascht. Seit dem Win­ter­semes­ter 2017/18 lehrt er an der Uni­ver­sität Bielefeld in der Fa­kul­tät für Er­zie­hungs­­wis­sen­­schaf­ten, haupt­säch­lich zu (im weiten Sinn) philo­so­phi­schen und an­de­ren Grund­lagen von Be­ratung. In Biele­feld scheint man sich nicht nur seine Mit­arbeit dauer­haft ge­sichert zu haben; man munkelt auch schon über den nächs­ten großen Qua­lifi­ka­­tions­schritt. Ir­gend­wann kommt Volker doch noch dahin, wo er hin­gehört: auf einen Lehr­stuhl.

Johann Heinrich Lambert (1728-1777)

… war – tja, das ist mit wenigen Worten wirk­lich schwer zu sagen. Mit Baum­gar­ten (und Kant) teilt er den pietis­tischen Hin­ter­grund und die Prägung seiner phi­lo­so­phi­schen Studien durch den Wolffia­nis­mus, anders als diese beiden hat er über­haupt keine uni­ver­si­täre Aus­bil­dung ge­nos­sen, son­dern war in höchstem Grade Auto­didakt, und zwar mit großem Erfolg auf unter­schied­lichen Ge­bieten. Ist es schon er­staun­lich, dass ein Mann aus ein­fachs­ten Ver­hält­nis­sen (er war Sohn eines klei­nen Schnei­ders in Mül­hau­sen) ohne aka­de­mi­schen Titel mit knapp 20 Jahren Haus­lehrer und Er­zieher bei einer ein­fluss­reichen Familie des schwei­zer Adels (von Salis) wird, so ver­blüfft es noch mehr, dass dieser Mann nach dem Ende seines Hof­meis­ter­da­seins in Chur zum or­dent­li­chen Mitglied der neuen Baye­ri­schen Aka­demie der Wissen­schaften wird, ja diese geradezu mit auf­baut. Und dass er wenige Jahre später die Wahl hat, ob er an die Peters­burger oder an die Berliner Aka­de­mie wechselt. Er ent­schei­det sich für Ber­lin und wird dort später sogar noch zum Ober­baurat in einem neu ge­grün­de­ten Ober­bau­depar­te­ment er­nannt.  Wenn er länger ge­lebt hätte (auch Lambert hat, meine ich, die Tu­ber­ku­lo­se da­hin­ge­rafft, obwohl die zeit­ge­nös­si­schen Be­rich­te und Dia­gno­sen wohl auch an­ders ge­deu­tet werden können), hätte ihn Fried­rich II., der ihn immer mehr schätz­te, vielleicht sogar noch in den Adels­stand er­heben lassen …

Als Mathematiker, Astronom und Phy­si­ker (vor allem auf dem Gebiet der Optik) hat er es mit seinen Beiträgen in die Stan­dard­dar­stel­lungen der Geschichte der be­tref­fen­den Dis­ziplin gebracht; die Phi­lo­so­phie­ge­schich­te tut sich schwer mit ihm: Gewiss ist seine als Grund­legung der Wis­sen­schaf­ten ge­dachte Philo­sophie nicht ein­fach ein ‚Vor­läu ­ fer‘ der Kanti­schen – ist sie viel­leicht als Alter­native anzusehen, die sich nur aus kon­tin­genten Grün­den nicht durch­gesetzt hat? Lambert war ein pro­blem­orien­tierter Denker, es fehlt an ge­lun­genen Dar­stel­lun­gen, was er mit seiner Philo­sophie im Gan­zen wollte. Die beste Ein­führung in sein Den­ken ist wohl die Selbst­rezension seines Neuen Orga­non in den Nova acta eru­di­to­rum … von der es glück­licher­weise auch eine zeit­ge­nös­si­sche deutsche Über­setzung gibt (wie­der­ab­ge­druckt in Philo­so­phische Schrif­ten , Bd. X.3, S.1353–1383). Vielleicht sollte man in dieser Situation, um Lambert-Stu­dien zu fördern, nicht gerade noch mehr Material aus sei­nem hand­schrift­lichen Nachlass aus­brei­ten. Immerhin kann dieser noch bes­ser er­schlossen werden, und für eine Philo­sophie­geschichte seiner Epoche ist es alle­mal wichtig, genau zu sehen und zu ver­stehen, wie mathe­ma­tische und ex­pe­ri­men­telle Natur­wis­sen­schaft und Philo­so­phie von einem der füh­ren­den Köpfe par­al­lel be­ar­bei­tet werden.

Helge Rückert

… ist unbefristet der Logiker des Philo­so­phi­schen Seminars der Universität Mann­heim (wenn er dort auch zu den unter­schied­lichsten Zwecken und Dienst­leis­tun­gen ge- und miss­braucht wird, wovon er manches Lied singen kann). Er veröf­fent­licht wenig, weil er die unnachsich­ti­gen Stan­dards, die er an philosophische Texte (und leider auch mündliche Äuße­run­gen) heranträgt, auch bei den eigenen keinen Augenblick ver­ges­sen kann. Umso mehr freue ich mich, einen neuen Auf­satz von Kai Wehmeier und ihm, der dem­nächst in Topoi erschei­nen wird (on­line seit 26.10.2016), allen Lo­gi­kern und sons­ti­gen Men­schen, die den Titel der Arbeit ver­stehen, zur kritischen Lektüre emp­feh­len zu können: „Still in the Mood – The Ver­sa­ti­li­ty of Sub­junc­tive Markers in Modal Lo­gic“.
Im Herbstsemester 2016 gab sich Helge gro­ße Mühe, einigen Mit­tel­bau-Kollegen und -Ex­kollegen in einem Privatis­simum zu er­läu­tern, welche Bedeutung der rich­tige Um­gang mit dem Konjunktiv in der Mo­dal­logik hat – die man deutlich einsieht, wenn man Kripkes be­rühmtes Mo­dal­ar­gu­ment gegen die Frege-Russell-The­orie der Eigen­namen re­kon­struiert (bzw. Helges Re­kon­struk­tion folgt). Auch für die philo­so­phie­historische Einordnung von
Naming and Necessity ist sein Vor­trag außer­or­dent­lich erhellend:

Kripkes Vorschlag, Sätze zu be­trachten, die a priori gewonnene Erkenntnisse aus­sagen und (dennoch) von kontingenten Sach­ver­halten handeln (oder auch a pos­te­rio­rische Erkenntnisse von notwendigen Sach­ver­hal­ten …), hat etwas mit Kants Ver­such gemein, die Möglichkeit ›syn­the­ti­scher Sätze a prio­ri‹ zu zeigen. (Unsere Ver­suche, Helge zum Aus­formulieren und Auf­schrei­ben seiner Ein­sichten zu be­we­gen, sind bislang leider fruchtlos.)
Zu Rückerts Eigen­schaften, die ihn auch für etwas schlam­pigere (oder fachlich li­be­ra­le­re oder einfach schlech­tere?) Phi­lo­sophen zu einem Kollegen machen, wie man ihn in der näheren Um­ge­bung un­be­dingt braucht, ge­hört seine Lese­ge­schwin­dig­keit bei Bel­letris­tik: Er hat je­der­zeit Emp­feh­lun­gen für gute Bücher parat, auch für Neu­er­schei­nungen, auch aus­län­dische, und kann, ohne zu viel zu verraten, sagen, was daran lesens­wert sein könnte. Hinterher kann man sich bei einem Glas Fassbrause sehr schön mit ihm streiten, wenn das Buch doch nicht das ge­halten hat, was man sich nach so einer Emp­feh­lung von ihm (dem Buch) ver­spro­chen hatte!

Axel Spree (1963-2016)

… war Spezialist für die sprach­ana­lytische Philosophie der Li­te­ratur und  Ästhetik – er hat eine her­vor­ragend les­ba­re und auch häu­fig zitierte Disser­tation über die Kritik der Interpretation (Pader­born 1995) ge­schrie­ben (be­mer­kens­wert ist darin unter an­de­rem die argu­men­ta­tive Aus­ein­an­der­set­zung mit post­struk­tu­ra­lis­ti­schen und de­kon­struk­ti­vis­ti­schen Po­si­tio­nen), zu­sam­men mit Rei­nold Schmü­cker hat er bis zu­letzt bei mentis die in­halt­lich und ge­stal­te­risch sehr gelungene Reihe „KunstPhilo­so­phie“ her­aus­ge­ge­ben (einige der besten Co­ver hat er selbst ent­wor­fen, auch wenn’s nicht im Buch steht) – hatte sich aber über­reden las­sen, im Jahr 2005 in Mannheim die Auf­gabe zu über­neh­men, die von Hans Wer­ner Arndt unfertig hin­ter­las­se­ne Edi­tion von Lamberts »Philo­so­phi­schen Schrif­ten« ab­zuschließen. Ohne Axels Pro­fes­sio­nalität, seine Geduld, seine Klugheit und seine Ziel­strebigkeit wäre das in drei Jahren nie und nimmer zu schaf­fen ge­wesen.

Diese Erfahrung unserer ge­mein­samen Ar­beit an diesem Projekt werde ich ebenso in dankbarer und wehmütiger Erinnerung be­halten wie die vielen Gespräche über Philo­sophie, Musik (er hat mich mit Beethovens letzten Kla­vier­sonaten be­kannt gemacht, aber auch versucht, mich für die Pet Shop Boys zu begeistern), Wein, den Uni­ver­sitäts­betrieb (dem er sich, nicht zu seinem Scha­den, beizeiten ent­zo­gen hatte), die Literatur, Typo­graphie und das Leben an sich seit den Bo­chumer Ta­gen, als wir bei Wer­ner Strube studiert und gear­bei­tet haben – und nicht zuletzt Axels ita­lie­nisch in­spi­rierte Koch­kunst! Ich habe von Axel viel gelernt (ich weiß nicht, ob ich mich so schnell getraut hätte, ihm diese Home­page zu zeigen …), er ist viel zu früh ge­stor­ben und wird mir und allen, die ihn ge­kannt haben, sehr fehlen.

Werner Strube (Jahrgang 1938)

… ist ein Bochumer Philosoph, der auf dem Gebiet der Philosophie der Literatur und der Li­tera­tur­wis­sen­schaft, der sprach­ana­ly­tischen Ästhe­tik und zur Ge­schichte der Ästhetik arbeitet. Er sitzt seit län­gerem an einer ver­glei­chen­den Dar­stel­lung prä­gnan­ter ästhe­tischer Theorien des 18. Jahr­hun­derts, für die er eine eige­ne, dem Dif­feren­tia­lismus ver­pflich­te­te Me­tho­dik entwickelt hat, die Ähn­lich­kei­ten und Unter­schiede her­aus­arbeitet, ohne eine chimä­ri­sche gerad­linige Ent­wick­lung (nach bio­lo­gischem Modell) kon­stru­ieren zu wollen. Dass er die­ses Buch noch nicht ver­öf­fent­licht hat, liegt nur an seinem scharfen kritischen Blick; er entdeckt im eigenen Text immer wieder Dinge, die sich noch besser, noch genauer, noch klarer sagen lassen – und wird nicht müde, dass auch zu tun.

Die potenziellen Leser – alle, die sich für die Ästhetik zwischen Shaftesbury und Kant inter­es­sie­ren – können nur hoffen, dass Strube bald mit dem Erreichten zu­frie­den ist oder wenigstens seinen Frieden macht, denn für das syste­ma­tische Ver­ständ­nis jener historischen Theorien des Schönen und der Kunst wird dann lange kein Buch in deutscher Sprache nütz­licher und hilf­reicher sein.

… to be continued

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